3,5 Kilometer Fußweg sind es bis zur nächsten Ortschaft. Es ist später Vormittag und ich freue mich auf die vor mir liegende Wegstrecke. An zwei Bergen entlang führt der Pfad, der begrenzt ist von kleinen Steinwällen. Sie sind typisch, prägen das Landschaftsbild Amorgos und rufen die Erinnerung an eine Reise nach Irland in mir wach, die mittlerweile 33 Jahre zurückliegt.
Der Duft der von der Sonne getrocknenten Kräutern hier am Wegesrand, entfaltet sich, sobald ich mit meinen Beinen an ihnen entlang streife.
Schon nach kurzer Zeit komme ich an einer kleinen Grotte vorbei. Ein Bild von Maria mit Kind und eine Kirche in Miniaturform sind dort liebevoll arrangiert.
Immer wieder finden sich hier in der kargen Berglandschaft kleine Kapellen, die schon von weitem leuchten, aufgrund ihrer schneeweißen Farbe.
Sie wirken wie Leuchttürme und geben Zuhause, erinnern daran, dass wir nie alleine sind. Räume, geschaffen um uns im Bewusstsein immer wieder aufs Neue zu verbinden mit der in uns wohnenden Lebenskraft; der göttlichen Kraft, die immer da ist und alles Leben durchströmt.
Wenig später treffe ich auf einen Mann. Er sitzt auf eine der Steinmauern und ruht. Ich erfahre, dass er auch dem Weg nach Tholaria ist und, dass das Land England sein Zuhause ist. Nach einem kurzen Austausch und guten Wünschen setzte ich meinen Weg fort. Schon bald geht der Blick nun heraus aus der Bergwelt und öffnet sich in die Weite. Die Bucht von Aegiali wird sichtbar. Immer wieder halte ich an, um die Schönheit, die hier zu Füßen liegt ,einzufangen mit dem Auge der Kamera.
Und finde einen Platz zu ruhen und die Natur und Landschaft zu kosten. Aus der Ferne sehe ich einen Mann laufen, in den Händen hält er einen schwarzen Schirm, aufgespannt über seinem Kopf. Beim genauen Hinschauen erkenne ich ihn wieder, den Mann aus England. Irgendwann steht er vor mir. Sein Gesicht ist hochrot und angestrengt sucht er einen Platz zum Sitzen. Ich erfahre, dass er 78 Jahre alt ist. Er wanderte im Himalaya, Tibet, Nepal und bereiste viele Länder. " Nun, wenn mir hier in den Bergen etwas zustößt, wird es niemand erfahren. Und niemand wird wissen, wo ich bin." Ein modernes Smartphone besitze er nicht, lediglich ein mobiles Telefon, mit dem er jedoch ausschließlich in England telefoniert; sein Vertrag ist wohl so eingestellt. Er erzählt, dass er vor kurzem dehydrierte auf einer Wanderung und er orientierungslos wurde. Im letzten Moment, so schildert er, kam ein Mann auf einem Esel geritten, Wasserbehälter transportierend. Das war letztendlich seine Rettung.
Wo kam sie her die Hilfe zur richtigen Zeit?
Wir diskutieren über den Umgang mit den digitalen Medien und wie sie sich auswirken auf uns Erwachsene, aber auch über die fatalen Auswirkungen, die sie für die Kinder bzw. die kindliche Entwicklung bedeuten. Wir sind uns einig. Ich stelle jedoch anheim, dass ein Smartphone auch ein Hilfsmittel ist, um das tägliche Leben zu organisieren. Ja, das Leben ohne ein solches wird immer schwieriger, bestätigt er. Gleichzeitig denke ich, früher sind die Menschen auch in den Bergen wochenlang unterwegs gewesen. Abgeschnitten von jeglicher Zivilisation.
Dann brechen wir gemeinsam auf und ich sehe, wie er hin und her schwankt bei seinen ersten Schritten. Ja, die Kraft lässt nach, sagt er.
Wir verabreden, gemeinsam einen Kaffee zu trinken, das Dorf liegt in greifbarer Nähe. Den scharzen Regenschirm klappt er zu, setzt eine Schildmütze auf sein haarloses Haupt. Seine sehr ausgetretenen Sandalen, deren Sohlen dünn wie Papier scheinen, trug er schon bei seinen Wanderungen im Himalya.
Im Dorf laufe ich voran. Es geht Stufe um Stufe bergauf immer weiter führen die Treppen in die Höhe.
Er lässt sich erschöpft und kraftlos auf den Treppenstufen nieder.
Endlich stehe ich auf dem zentralen Platz des Ortes; ein kleines Cafe und Restaurant liegen direkt neben der Kriche und dem großen Kirchplatz.
Kehre zurück und .....der Mann aus England ist verschwunden. Ich suche im Ort, passiere kleine Gassen, entdecke immer wieder neue Winkel und Sträßchen. Nur wenige Menschen sind unterwegs, Es ist 14 Uhr, also - Zeit für eine, wie es im spanischen heißt, Siesta.
Ich spreche die wenigen, vorübergehenden Frauen und Männer an und frage, ob sie einem älteren Herrn begegnet sind. Nein. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.
Ratlos halte ich mich noch eine ganze Weile im Ort auf und ein griechisches Lehrerehepaar nimmt mich später im Auto mit, zurück nach Ladaka. Unten im Tal angekommen, traue ich meinen Augen nicht. Ich rufe Stopp und verlasse das Auto vorzeitig. Dort läuft er, der Mann mit dem schwarzen Schirm. Ich gehe ihm entgegen und erfahre, dass er den zentralen Platz gefunden hatte und letztendlich nun auf dem Rückweg sei. Er lief den gesamten Weg hinunter ins Tal. Ich bin froh, ihn wohlauf zu sehen und wir verabschieden uns nach einer Weile. Den morgigen Tag werde er zum Ausruhen nutzen. Denn, den Tag darauf reist er weiter zur nächsten Insel nach Sifinos-.... zum Wandern.