Am Sonntag mache ich mich erneut auf den Weg nach Tholaria.
Es ist später Nachmittag.
Anlass ist das Fest der Heiligen Anargiroi. Laut der Vermieterin meines Zimmers ist es das größte Fest, welches auf Amorgos gefeiert wird und Menschen von überall her, nehmen daran teil. Sie kommen sogar angereist aus Athen. Pünktlich um 19 Uhr betrete ich den Kirchplatz. Schon einige Besucher versammeln sich hier bei Sonnenschein und strahlend blauem Himmel. Lange Seile,versehen mit farbigen Wimpeln, sind gespannt in luftiger Höhe über dem Platz und flattern fröhlich im Wind. Die Kirchentür ist geöffnet. So wie in allen orthodoxen Kirchen reihen sich hier unzählige Ikonographien an den Wänden. Manche sind mit üppigen Blumenschmuck versehen. Jeder, der Eintritt, entzündet eine Kerze, so gibt es schon eine großes Lichtermeer. Wieder befinden sich an den Wänden des Raumes Möglichkeiten zum Sitzen, desweiteren sind auch davor noch zum besonderen Anlass heute weitere Stuhlreihen gestellt.
Ich suche mir einen Platz, froh, nach der Wanderung sitzen zu können. Muntere und vergnügte Gespräche um mich herum, überwiegend geführt von Frauen. Die wenigen Männer, die ich sehe, sitzen weiter vorne. Sehr festlich ist die Kleidung der Frauen. Sie tragen einen Rock mit einer Bluse kombiniert oder ein Kleid, Schuhe mit Absätzen, die Lippen rot nachgezogen, das Haar gebürstet und frisiert. Viele tragen goldenen Schmuckstücke. Westen und auch ihre Handtaschen werden lässig über die Stuhllehnen gehängt. Auch die Männer erscheinen überwiegend mit schwarzer Hose, schwarz- glänzenden Schuhen und tragen ein festliches Hemd.
Es dauert lange, bis der " Service" so wird es hier genannt, beginnt. Zwei der Patriachen oder auch Presbyter singen im Bariton und Bass. Es sind ausdrucksstarke Gesänge und ich bin beeindruckt von dem Klangvolumen ihrer Stimmen. Sie singen eineinhalb Stunden, gesprochen wird wenig. Zwischendurch geht einer der Presbyter entlang der Reihen, ein Räuchergefäß, gefüllt mit Weihrauch, schwenkt er kräftig hin und her. Im Kirchenraum herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Unzählige Menschen sind heute auf den Beinen, um diesen Fest beizuwohnen.
Später erfahre ich, dass es zwei Heiligen gewidmet ist, die als Heiler auf Amorgos tätig waren. Nach einer Weile verlasse ich den Kirchenraum und lasse mich auf eine der gemauerten Bänke, die die Mauern, die den Kirchplatz einfassen, ergänzen, nieder. Hier beobachte ich das Geschehen. Frauen stehen hinter Tischen und bereiten Teller und Serviertten vor. Männer bringen säckeweise frisch gebackenes Brot. 3 große Wannen, mit Alufolie bedeckt, finden vorerst ihren Platz hinter der errichteten Theke Dann sehe ich, die Familie meiner Vermieterin. Maria ist da mit ihren Töchtern und ihrem 2 jährigen Enkelkind , auch eine Maria. Ich erkenne auch eine Frau mit ihren beiden Jungen, es sind Zwillinge, wieder. Sie bewohnen ein Haus , das unmittelbar am Strand liegt. Oft sah ich die noch kleinen Kinder im Garten, ein anderes Mal am Strand von Aegialis und beobachtete ihr unermüdliches Spiel. Auch sehe ich das junge Mädchen von Aegialis, die mir in englischen Worten den Weg beschrieb zur Bushaltestelle. Wir lächeln uns aus der Ferne zu. Der Ehemann der Vermieterin trägt heute statt legerem Shirt ein dunkelblaues Hemd, das ihm Glanz verleiht. Ausserhalb des Kirchplatzes steht eine Frau zusammen mit einem Mann, vermutlich sind sie aus Deutschland. Sie trägt den Rucksack auf dem Rücken und schaut interessiert auf die Menschenmenge. Später sehe ich sie aufgeregt den Kirchraum betreten.
Ein kleiner Junge mit schwarzem Haar trägt eine Sonnenbrille, ein weißes Hemd und dazu eine schwarze Fliege. Mit dieser Bekleidung und Ausstatung wirkt er wie ein Erwachsener in Miniaturausgabe. Gemeinsam mit seiner Mutter trifft er ein. Und sofort fällt sein Blick auf einen etwa gleichaltrigen Jungen, der neben seiner Mutter sitzt. Sie scheinen sich zu kennen und stehen schon bald flüsternd und lachend zusammen. Dann sind sie eine ganze Weile verschwunden. Später sehe ich den Jungen wieder, die Fliege ist verschwunden, ebenso die Sonnenbrille. Und er wirkt sichtlich befreit und lebendig.
Auf den von den Frauen vorbereiteten Tischen stehen die Teller zum Abholen bereit. Darauf befindet sich jeweils ein süßes Gebäck aus Blätterteig, ein Stück Loukoumi und ein kleines Stück Pasteli ( Honig und Sesam) bekannt und üblicherweise gereicht als Riegel, hier und heute in Form einer Raute auf dem Teller. Die Atmosphäre ist heiter und entspannt. Es wird begrüßt, gelacht, geredet, gegessen, getrunken, gestaunt, erkannt, wiedererkannt, ausgetauscht und und und. Um 21 Uhr, es ist bereits dunkel und kühl geworden,verlasse ich das Fest. ( aufgrund fehlender, wärmender Kleidung) Und wie bestellt, fährt der Bus vor. der mich zurück bringt nach Lagada in mein derzeitiges Zuhause. Danke!